BayGO: Verhinderung von demokratischer Mitsprache durch Kommunalunternehmen?

ballot-box-32384_640Kann eine bayerische Gemeinde wesentliche Entscheidungen dem Gemeinderat entziehen und ein Bürgerbegehren verhindern, indem sie umfangreiche Kommunalunternehmen gründet und die Kompetenzen so wegdelegiert? Diese Vorgehensweise ist sicher nicht im Sinne der Gemeindeordnung. Und bei genauerem Hinsehen ist es wohl auch nicht möglich, obwohl es gern so behauptet wird.

Gemeinden und Landkreise lagern viele Einrichtungen der alltäglichen Versorgung in gesonderte Kommunalunternehmen aus. Diese Unternehmen sind als Anstalten des öffentlichen Rechts (Art. 89 der Gemeindeordnung) im Endeffekt nichts anderes als Abteilungen der Stadtverwaltung, auch wenn sie – im Gegensatz zum Eigenbetrieb – eine gewisse Verselbstständigung der täglichen Organisation erreicht haben. Entscheidungsgremien sind dann aber nicht mehr die Gemeindeorgane, sondern Vorstand (Art. 90 Abs. 1 GO) und Verwaltungsrat (Art. 90 Abs. 2 GO).

Diese Vorgehensweise ist gesetzlich verankert und ihre praktische Umsetzung verursacht prinzipiell keine Probleme. Problematisch wird es jedoch bei der Kollision mit einem anderen Instrument des Kommunalrechts, nämlich den Bürgerentscheiden.

Kommunalunternehmen sind nicht aus Bürgerbegehren ausgeschlossen

Ein Bürgerentscheid bedeutet, dass die Gemeindebürger per Abstimmung eine Entscheidung der Gemeinde fällen. Zu diesen Entscheidungen gehören aber interne Angelegenheiten der Kommunalunternehmen nach herrschender Meinung nicht mehr, da diese ja in das Unternehmen ausgelagert wurden.

Diese Ansicht erschließt sich aus dem Gesetz aber nicht. Als Thema eines Bürgerentscheids kommen gemäß Art. 18a Abs. 1 und 3 nur folgende Angelegenheiten nicht in Frage:

  • Zuständigkeiten aus dem übertragenen Wirkungskreis
  • kraft Gesetz dem ersten Bürgermeister obliegende Entscheidungen
  • Fragen der inneren Organisation der Gemeindeverwaltung
  • Rechtsverhältnisse der Gemeinderatsmitglieder, der Bürgermeister und der Gemeindebediensteten
  • die Haushaltssatzung

Angelegenheiten der Kommunalunternehmen fallen nicht unter diese Punkte.

building-200902_640Ein gewisser Anhaltspunkt ergibt sich lediglich aus Art. 18a Abs. 13 Satz 1. Demnach hat der Bürgerentscheid die Wirkung eines Gemeinderatsbeschlusses. Hieraus wird teilweise geschlossen, dass der Bürgerentscheid nur das beschließen könne, was auch der Gemeinderat beschließen kann. Wenn ein Ratsbeschluss nicht wirken würde, kann auch ein Bürgerentscheid mit gleicher Wirkung nicht zulässig sein.

Gemeinde bleibt für ihre Unternehmen zuständig

Dies verkennt aber im Hinblick auf Kommunalunternehmen, dass die Gemeinde als solche trotz der Auslagerung zuständig bleibt. Denn die Aufgaben, die das Kommunalunternehmen übernimmt, gehören ja weiterhin zum (eigenen) Wirkungskreis der Gemeinde. So, wie ein staatlicher Akteur nicht ins Privatrecht flüchten kann, um der Grundrechtsbindung zu entgehen, kann die Gemeinde auch nicht aus dem Kommunalrecht flüchten, um ihre Bürger zu entmachten.

Ansonsten wäre es ja möglich, dass die Gemeinde ihre gesamten hoheitlichen Aufgaben an ein Kommunalunternehmen auslagert und dann alle Entscheidungen statt durch Bürgermeister und Gemeinderat nur noch durch Vorstand und Verwaltungsrat fallen.

conference-room-768441_640Allgemein anerkannt ist daher auch, dass Weisungen der Gemeinde an den Verwaltungsrat (Art. 90 Abs. 2 Satz 4 und 5 GO) sehr wohl Gegenstand eines Bürgerbegehrens sein können und ggf. die Fragestellung dahingehend umzudeuten ist (BayVGH, Urteil vom 21.03.2012, 4 B 11.221). Auch der Austritt aus einem Kommunalunternehmen mehrerer Kommunen kann durch Bürgerbegehren beantragt werden (vgl. VG Augsburg, Beschluss vom 21.12.2011, Au 7 E 11.1832), ebenso die Auflösung (VG Augsburg, Beschluss vom 20.03.2012, Au 7 E 12.392).

Gemeindeordnung: Gemeinde muss grundlegende Entscheidungen über Unternehmen treffen

Die Vorstellung, durch die Auslagerung von Zuständigkeiten in ein Kommunalunternehmen entmachte sich die Gemeinde selbst vollständig, ist also nicht zutreffend. Vielmehr setzt die Gemeinde dadurch andere Entscheidungsorgane ein. Die Gemeinde als solche bleibt aber zuständig und damit auch die Bürger.

Während Entscheidungen der laufenden Geschäftstätigkeit als Interna des Kommunalunternehmens nur dessen Organen unterliegen, bleiben Grundlagenunterscheidungen trotzdem beim Gemeinderat. Dies ergibt sich schon aus seiner Kompetenz,

  • das Kommunalunternehmen einzurichten (Art. 89 Abs. 1),
  • ihm Aufgaben zu übertragen (Art. 89 Abs. 2),
  • seine Rechtsform zu ändern (Art. 89 Abs. 2a),
  • ihm eine Satzung zu geben (Art. 89 Abs. 3),
  • dem Verwaltungsrat Weisungen zu erteilen (Art. 90 Abs. 2 Satz 4 und 5) und
  • Kommunalunternehmen aufzulösen (Art. 96 Abs. 1 Nr. 4).
  • Und schließlich haftet das Unternehmen auch für die Verbindlichkeiten des Unternehmens (Art. 89 Abs. 4).

Implizite weitere Zuständigkeiten

Zumindest grundlegende Entscheidungen im Bereich der Kommunalunternehmen liegen also weiterhin bei der Gemeinde selbst. Dies betrifft alle Entscheidungen, die Sinn und Zweck des Unternehmens berühren. Denn die Gemeinde hat ihre Zuständigkeiten ja gerade deswegen ausgelagert, um bestimmte Ziele zu erreichen – die Entsorgung des Abfalls, die Bereitstellung von Veranstaltungshallen, die Einrichtung eines Bads oder den Betrieb eines Krankenhauses.

swimming-pool-1737173_640Wenn nun das Unternehmen diese Ziele nicht mehr gewährleistet, muss es ein Zugriffsrecht der Gemeinde geben. Das wäre in den genannten Beispielen der Fall, wenn auf einmal kein Restmüll mehr abgeholt, die Hälfte der Räumlichkeiten bzw. Schwimmbecken geschlossen oder das Krankenhaus keine Orthopädie mehr anbieten. Ob man das nun als Annexkompetenz zur Einrichtung der Unternehmen oder als Erst-recht-Schluss aus der Möglichkeit der Auflösung und Neugründung mit neuen Rahmenbedingungen begreift, ist allenfalls eine dogmatische Frage. Hinzu kommt, dass diese Entscheidungen zumindest materiell einer Regelung durch Satzung unterliegen würden (Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 GO), da sie die Benutzung öffentlicher Einrichtungen betreffen. Beim Satzungserlass wäre der Gemeinderat stets weisungsbefugt.

Im Zusammenspiel mit dem Bürgerbegehren muss das also bedeuten:
Der laufende Betrieb des Unternehmens ist einem Bürgerbegehren entzogen.
Einrichtung und Auflösung, ggf. sogar die Auflösung und gleichzeitige Neueinrichtung, können immer Gegenstand eines Bürgerbegehrens sein.
Alle anderen Entscheidungen können von einem Bürgerbegehren behandelt werden, wenn dies in der Satzung vorgesehen ist, wenn diese eine Benutzungsregelung darstellen oder sie wesentlich für das Leistungsniveau oder die öffentliche Aufgabenerfüllung sind.

Weitere Kompetenzen bei „unechten Verwaltungsräten“

Diese Abgrenzung wird man ggf. noch weiter in Richtung Zulässigkeit verschieben müssen, wenn es sich um einen sogenannten unechten Verwaltungsrat handelt. Darunter versteht man einen Verwaltungsrat, der wie ein Ratsausschuss zusammengesetzt ist. Ein solcher besteht zumindest überwiegend aus dem Bürgermeister und einigen Gemeinderäten, wobei die Mandate meist (genau wie Ausschüsse) nach dem Stärkeverhältnis der Parteien vergeben werden.

Es ist nicht einleuchtend, einem solchen Organ die Unabhängigkeit eines Verwaltungsrats zuzugestehen. Denn würde genau dieses Gremium als Werkausschuss einen Eigenbetrieb lenken, würde von vornherein nichts gegen ein Bürgerbegehren sprechen.

justitia-421805_640Gerichtliche Entscheidung bleibt abzuwarten

Die bisherige Rechtsprechung zu diesen Fragen ist aber – von den genannten und einigen ähnlichen Entscheidungen abgesehen – noch nicht sehr ergiebig. Der Grund dürfte darin liegen, dass die meisten Gemeinden mit der Zulassung solcher Bürgerbegehren eher großzügig sind, da regelmäßig eine erhebliche Zahl an Bürgern unterschrieben hat (ansonsten stellt sich die Frage ja gar nicht erst) und eine noch größere Zahl das Anliegen unterstützt.

Zu einer gerichtlichen Entscheidung kommt es aber in aller Regel nur, wenn das Begehren nicht zugelassen wird und die Vertreter dann auch noch auf eigenes Kostenrisiko eine Klage erheben.

Wir werden sehen, wie sich die Rechtsprechung, insbesondere des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, in der nächsten Zeit dazu entwickeln wird.

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